Wochenkommentar KW 19 – 14. Mai 2023
Träumer
Irgendwann, vor Anbruch des Morgens, wachte ich auf. Im Traum war ich Klaus Kinski so nah, dass er auf mich reagierte. In einem seiner Filme. War es Fitzcarraldo? Es waren Sequenzen, die ich nicht kannte. Er spuckte mir quasi ins Gesicht. Ich konnte seine Aufregung spüren, sein Verlangen mich zu kontrollieren. Seinen Trichterhass, den er mir einflößen wollte. Indessen kam keine Regung von mir und er wandte sich ab. Beschimpfte die anderen. Träume können etwas Wunderbares sein, finden Sie nicht?
Neulich träumte ich gar, zwischen zwei Frauen zu liegen. Sie glauben gar nicht, wie gut sich das anfühlt. Potenzierte Wärme und Energie am eigenen Körper. Als ich aufwachte, war ich alleine im Bett. Ich versuchte gleich wieder einzuschlafen. Vergebens.
Irgendwann ist es mir dann doch geglückt, um mit Ernest Hemingway auf seiner Jacht Pilar Marline zu fangen. Ich sehe uns auf einem Foto. Links ich, in der Mitte der hochgezogene Marlin, unbewegliche erstarrte Augen, seiner tiefblauen Farbe entledigt, und rechts Ernest. Die Farben des Tages strahlen mehr als jene des Fisches. Es ist egal, handelt es sich doch um eine Schwarz-Weiß-Aufnahme. Hauptsache Ernest, der Fisch und ich. Ein Bild für die Ewigkeit. Es wird in zahlreichen Hemingway-Büchern auftauchen. Und indirekt schmücke ich mich damit. Wie Valentin Hauser mit Peter Handke.
Wenn ich nichts träume, ist es mir auch recht. Mein Geist schlichtet und sortiert, was möglich und notwendig ist. Braucht keine Anleitung. Weiß selbst, was am besten für ihn ist. Am Morgen lasse ich alles hinter mir, versuche mich zu erinnern, um mir im Selbstärger über meine Vergesslichkeit einen Kaffee zu richten und mich dem Tag zuzuwenden. Morgen ist auch noch eine Nacht. Traumzeit vorbei.
Das Flirren der Blätter meiner eben ausgetriebenen Linden vor dem Haus wirkt einschläfernd. Sie verhalten sich wie kleine Elfen, die mich in den Schlaf singen, wenn nicht gerade ein Wahnsinniger, ein selbsterklärter Stadionsprecher, die 1. AirSUP Boardercross Championship an der Drau ankündigt. Mit diesem Satz ist mein Text endgültig entweiht. Gut, schließe ich eben die Fenster und spreche mit meinen Pflanzen. Um drei Uhr früh öffne ich ein weiteres Mal die Fenster – um den Vögeln zu lauschen. Sie singen um ihr Leben und wiegen mich erneut in den Schlaf.
Was ich dann geträumt habe, weiß ich nicht mehr. Vielmehr erinnere ich mich an einen meiner finstersten Alpträume. Ich träumte ihn in meiner Kindheit. Ich schlief im Stockbett eines 12-Quadratmeter-Zimmers und träumte, dass ich schlief und als ich während des Erwachens zum Fenster sah, bewegte sich dort eine hässliche, fließend-schwarze Gestalt, die durchs Fenster schlurfte und mich aus dem Bett in die Finsternis zerrte.
Gezeichnet von dem Traum stand ich auf, wanderte schnurstracks durch das Haus – Wohnzimmer, Küche, „die Labn“ [Vorraum] wie es in Kärnten heißt, ins Schlafzimmer meiner Eltern, wünschte mich in die Mitte zwischen Vater und Mutter, reichte meiner Mutter die Hand, „Mutti, Handibebe!“, meine Mutter umfasste mit ihrer Hand meine Kinderhand, ich bohrte meine Faust in ihren Ballen und schlief zufrieden zwischen den beiden ein. Jetzt hatte ich meinen Dreier.
„Wir leben, um zu träumen – und träumen, um zu leben!“